Ein verschlungenes Geflecht romantischer und familiärer Beziehungen ist – typisch für Almodovar – das Zentrum der Handlung. Doch “Die zerrissenen Umarmung” verwendet Komplexität nicht zur bewussten Irritation des Zuschauers, sondern als Metapher für die Unvorhersehbarkeit des Gefühls. Es beginnt mit einem durch einen Schock Blindgewordenen, dem in Madrid lebenden Drehbuchautor Harry Caine (Lluis Homar). Mit seinem amerikanischen Pseudonym- Caine: Nachtigall ich hör Dir trapsen – ist der ehemalige Regisseur, dessen wahrer Name Mateo Blanco ist, verschmolzen. Das symbolische Ablegen der ursprünglichen Identität in Form des Namens interpretiert “Die zerrissene Umarmung” als Wegsehen, Nicht-hinsehen-können auf die Vergangenheit. Das Blindwerden korrespondiert mit einem symbolischen, selbst gewählten Erinnerungsdunkel. Die klassische Verdrängung.
Ein junger Filmemacher, der sich ebenfalls hinter einem Pseudonym, Ray X (Ruben Ochandiano), verbirgt, will mit Caine ein Drehbuch schreiben. Caines Ex-Partnerin und Produktionsleiterin Judit (Blanca Portillo) erkennt Ray X als den vom Vater mißachteten Sohn des Filmmoguls Ernesto Matel (Jose Luiz Gomez). Nach Matels Tod will Ray X einen begonnenen Dokumentarfilm beenden. Mittels dieses Dokumentarfilms durch seinen Sohn während der Dreharbeiten zum echten Film überwachte einst Matel seine Geliebte Elena (Penelope Cruz). Seine Besitzgier und Eifersucht läßt ihn sogar die Lippenbewegungen der Elena durch eine Taubstummenlehrerin in Worte übersetzten. Die junge Schauspielanwärterin machte Blanco in Matels Auftrag zur Hauptdarstellerin in seinem Film “Frauen und Koffer”. Wie Blanco sie dafür inszeniert, ist beinahe schon allein das Ansehen wert. Mit platinblonder Monroe-Perücke, vor allem aber als stilisierte Audrey Hepburn. Dass Penelope Cruz, die ohne ihr Faible für außergewöhnliche Filmprojekte von Hollywood in der Paraderolle der “verführerischen Spanierin” gefesselt und eingekerkert worden wäre, diesen außergewöhnlichen Typ der Hepburn glaubhaft darstellen kann, bezeugt ihre darstellerische Vielfältigkeit. Ohne viele Worte beschreiben Almodovars Bilder, wie die Hauptdarstellerin zur Muse wird und die Muse zur Geliebten, bis alle drei miteinander verschmelzen.
Elena und ihr Regisseur werden ein Liebespaar. Eifersucht treibt den Menschen als Besitz betrachtenden Matel zur Rache an den Liebenden, die seiner Einflußsphäre auf die Kanarischen Inseln entfliehen. Erst läßt er aus den Filmstreifen einen schrecklichen Film schneiden und aufführen, der ein Durchfall wird. Dann sind auf einmal alle Filmstreifen vernichtet und keine Korrektur möglich. Gerade als beide den Kampf in Madrid aufnehmen wollen, passiert der Autounfall, der durch ein sie verfolgendes Auto und ein in ihre Auto hineinfahrendes nicht natürlich erscheint. Elena ist tot, Caine/Blanco kann das nicht mitansehen und wird blind.
Durch die von Ray X und den Sohn seiner Produzentin Diego (Tamar Novas), quasi seinen Sohn, in Gang gesetzte Konfrontation mit der verdrängten Vergangenheit lernt Caine wieder sehen. Doch Almodovar öffnet ihm in “Die zerrissene Umarmung” die Augen nicht als Wunderheilung. Stattdessen vermag Caine emotional dem Vergangenen ins Gesicht zu sehen und zu verarbeiten. Melodramatik und Überspanntheit charakterisieren Almodovars Werk. Diese gerne in grellbunte Bilder gekleidete Skurrilität macht seine Filme manchen zum Kult, manchen unleidlich, besonders, da Almodovar beide Elemente bewusst als Stilmittel einsetzt. In “Los Abrazos Rotos” treten sie nur am Rande auf. Mit einem Hauch federleichter Selbstironie versehen, lässt der Regisseur (Almodovar) den Regisseur (Harry Caine) die Szenen drehen. Dieser Mato Blanco scheint ein wenig Pedro Almodovar zu sein. Doch in diesem unterschwelligen selbstanalytischen Spiel als alter ego liegt keine Egozentrik. Weder stilisiert Almodovar sich zur Leidensfigur, noch zum romantischen Helden. Er konzentriert die Rolle auf das Zwischenmenschliche. Nicht zuletzt ist “Die zerrissene Umarmung” ein Film über das Filmemachen. Darüber, was einen Filmschaffenden anregt, inspiriert und bewegt einerseits, ihn lähmt und kaputt macht andererseits.
“Filmemachen muss man manchmal blindlings”. Wahre Worte von Blanco alias Caine alias, wenn man es so in “Die zerrissenen Umarmung” interpretieren darf, Pedro Almodovar. Dieses Blindlingshineinstürzen reißt das Drama manchmal fort, macht es unwahrscheinlich und konstruiert. Doch das leidenschaftliche Spiel der Cruz und Bilder wie jenes des blinden Regisseurs, der sich an einen kalten Bildschirm auf der Suche nach menschlicher Wärme presst, machen die Längen des über zweistündigen Films “Die Zerrissene Umarmung” vergessen. Almodovar beleuchtet die heilende und verletzende Wirkung, welche das Filmemachen besitzen kann. Beim wiederholten Ansehen werden die Längen zur Ruhepause zwischen den emotionalen Stürmen. Man muss das Hochdramatische, also das Leben selbst, mögen, wer dies nicht will, gehört nicht in einen Almodovar-Film. “Die zerrissenen Umarmung” gefällt als Hommage an die Liebe zum Filmemachen, zu Filmklassikern und zur Liebe selbst, zu der immer eine große Portion von Leid und Trauer dazugehört.
Titel: Los Abrazos Rotos – Die zerrissenen Umarmung
Start: 6. August
Regie und Drehbuch: Pedro Almodovar
Darsteller: Penelope Cruz, Lluis Homar, Blanca Portillo, Jose Luis Gomez, Ruben Ochandiano
Verleih: TOBIS Film
www.zerrisseneumarmung.de